Ulisse Dogà: ‘Port Bou – deutsch?’ Paul Celan liest Walter Benjamin

Rimbaud Verlag  2009
von Ulisse Dogà

Wahlverwandtschaften

In seinem lesenswerten Buch ‘Port Bou – deutsch?’ Paul Celan liest Walter Benjamin widmet sich Ulisse Dogà einem am 19.07.1968 verfassten, zu Lebzeiten jedoch unveröffentlichten Gedicht Paul Celans, welches mit direkter Bezugnahme auf Walter Benjamin zu den ideologischen Tendenzen im Nachkriegsdeutschland kritisch Stellung nimmt. Dabei geht es ihm vor allem darum die „brüderliche Nähe“ zweier exzentrischer Autoren aufzuzeigen, deren ebenso faszinierende wie opake Texte nicht nur einer Generation von Geisteswissenschaftlern Rätsel aufgegeben haben. Umso bemerkenswerter ist es, dass seine detail- und kenntnisreiche Studie an keiner Stelle der Versuchung nachgibt, in das bequeme Dunkel einer esoterischen Überhöhung ihrer „geheimen Verabredung“ zu fliehen, sondern die intellektuelle Wahlverwandtschaft zwischen dem hermetischen Dichter und dem idiosynkratischen Philosophen  konsequent kontextualisiert. Dem poetologischen Imperativ Paul Celans folgend, – „Denn das Gedicht ist nicht zeitlos“, – wird sein Gedicht Port bou – deutsch?  „in den politischen, sozialen und literarischen Machtverhältnissen“ der ersten drei Jahrzehnte der bundesdeutschen Republik positioniert. Für das „Prinzip Widerstand“, das Dogà zu Recht Celans poetischer Praxis jenseits der Dichotomie autonome/engagierte Kunst zugrunde legt, steht dabei Benjamins Bestimmung der gesellschaftlichen Funktion des Schriftstellers Pate. Celans bis in die Wortwahl verfolgbare Auseinandersetzung mit Benjamins Kommerell-Rezension Wider ein Meisterwerk unterstreicht zudem die Kontinuität der intellektuellen Oppositionsbildungen in der deutschen Bildungselite des 20. Jahrhunderts.

 

Vor den Augen des Lesers von Dogàs Studie entfaltet sich dadurch ein unheimliches Panorama, welches die affirmative Beschwörung von Benjamins Text und Leben in Celans Gedicht als unumgänglich erscheinen lässt. Indem es Wort für Wort als Aktualisierung und Radikalisierung geschichtsphilosophischer Theoreme und politischer Stellungnahmen Walter Benjamins gelesen wird, richtet sich diese überzeugende Interpretation gegen die des französischen Philologen Jean Bollack,  welcher Port Bou – deutsch? als Kritik an den unterstellten „Verstrickungen Benjamins“ in den Irrationalismus deutscher Ideologie verstehen wollte. Dagegen wird es in Dogàs philologisch präziser Lektüre zum Fixpunkt eines Meridians deutsch-jüdischer Rationalität, auf dessen Bahn sich auch Benjamins Denken und Erfahrung wiederfindet. Trotz der Betonung ihrer „brüderlichen Nähe“ unterschlägt Dogà die Differenzen in Haltung und Prinzip jedoch nicht. Kurz gesagt: Celan verbietet die Erfahrung totaler Gewalt in der Shoa Hoffnung und Melancholie, welche als Pole Benjamins Geschichtsphilosophie tragen, – so seine These.

Der Charme seiner gelungenen Studie, – Celans Auseinandersetzung mit der Philosophie und Biographie Walter Benjamins bis in die Technik des Gedichtes zu verfolgen, – wird Dogà jedoch an manchen Stellen zum Verhängnis, nämlich beispielsweise dann, wenn seine Auslegung durch suggestive Benjamin-Zitate gestützt werden soll, welche selbst erklärungsbedürftig sind. Zudem werden Benjamins, – aus der historischen Distanz betrachtet,-  fragwürdigen Charakterisierungen der politischen Kultur seiner Zeit zum Großteil unhinterfragt übernommen. Misst man Dogàs Buch am eigenen Maßstab, –  seiner Ansicht nach „entbindet (das Gedicht) neues Erkenntnispotential“ und „erhebt sich im Nu über die damalige Polemik und das Niveau der Diskussion um Walter Benjamin“ – fällt das Urteil deshalb zwiespältig aus: So aufschlussreich seine Interpretation in Bezug auf Celans Stellung in den politisch- intellektuellen Auseinandersetzungen der 60iger Jahre und sein Verhältnis zu Walter Benjamin ist, so wenig Neues erfährt man über dessen Geschichtsphilosophie und Erfahrungshorizont.

 

Johannes Steizinger